Rezension: „Der thematische Prozess in der Musik“ von Rudolph Réti

Buchrezensionen
名曲の旋律学―クラシック音楽の主題と組立て
音楽之友社
Rudolph Réti (Autor), Nobuo Mizuno (Übersetzer), Hiroko Kishimoto (Übersetzer)

(Ursprünglich veröffentlicht am 9. April 2002)

Wie der japanische Untertitel „Thema und Aufbau in der klassischen Musik“ andeutet, erläutert dieses Meisterwerk das Konzept der „thematischen Arbeit“, einen Grundpfeiler der Komposition in der westlichen Musik, anhand zahlreicher Notenbeispiele.

„Warum kann in der Musik auf eine bestimmte Tongruppe nur eine andere bestimmte Tongruppe folgen und nicht eine beliebige, die zufällig in Tonart oder Rhythmus passt?“ – diese Frage dürfte viele Komponisten und Musikliebhaber interessieren.

Das Buch beleuchtet nicht nur die tatsächliche thematische Arbeit von Komponisten durch Partituranalyse, sondern geht auch der Frage nach, was thematische Manipulation für einen Komponisten eigentlich bedeutet und warum sie angewendet wird. Diese tiefere Betrachtung unterscheidet es von reinen Analysewerken. Es ist nicht nur für Komponierende, sondern auch für begeisterte Hörer sehr zu empfehlen. Es bietet eine flexible und wesentliche Perspektive auf die thematische Arbeit, deren technische Aspekte oft überbetont werden.

Andererseits hat „Der thematische Prozess in der Musik“ trotz seiner Bedeutung auch vielfältige Kritik aus der akademischen Welt erfahren. Ein Hauptkritikpunkt ist der offensichtliche Mangel an methodischer Strenge in Rétis Analyseansatz. Kritiker bemängeln, dass seine Analyse keine strengen Verfahren und keine Reproduzierbarkeit aufweist und stark von der Subjektivität des Analysierenden abhängt. Zudem wird kritisiert, dass seine Konzentration auf Tonhöhen-Zellen (pitch cells) unter Vernachlässigung von Rhythmus und Tonalität zu einer Kluft zwischen der musikalischen Wahrnehmung und der Analyse führt.

Interessanterweise versucht die moderne Forschung, die den Kernideen von Rétis Analyse dennoch einen Wert beimisst, seinen motivischen Analyseansatz mathematisch neu zu definieren und für die computergestützte Analyse nutzbar zu machen.

Ich begann mich erst mit Anfang zwanzig ernsthaft mit klassischer Musik zu beschäftigen. Als Kind hörte ich sie zwar, aber nie eine ganze Symphonie am Stück. Mein Hören beschränkte sich meist auf kurze Stücke wie den „Türkischen Marsch“ oder Auszüge aus „Peer Gynt“ – im Grunde die Art von Musik, die man im Schulunterricht hört.

Als ich dann anfing, mich intensiver mit klassischer Musik zu befassen, störte mich etwas: Selbst wenn mir erklärt wurde, dass das Gefühl von Gesamtheit und Einheit in der Musik auf Techniken wie der thematischen Arbeit beruhte, brachte es mir keine wirkliche Erleuchtung, dies in der Partitur nachzuvollziehen. Die Verbindung zwischen den Noten und meinem Höreindruck blieb unklar.

Die Lektüre dieses Buches war jedoch eine große Erleichterung. Mir wurde klar: „Ach, die Technik dient also dem bereits vorhandenen *Gefühl* der Einheit!“ Zuvor war ich in einer Sackgasse gelandet, weil ich versucht hatte, mich von der Frage „Welches Gefühl (Einheit) erzeugt die Kompositionstechnik?“ zu nähern. Wie im Nachwort angemerkt, ist es ein Buch, das eine wirklich frische Inspiration schenken kann.

名曲の旋律学―クラシック音楽の主題と組立て
音楽之友社
¥3,423(2025/05/28 19:09Zeitpunkt)
Rudolph Réti (Autor), Nobuo Mizuno (Übersetzer), Hiroko Kishimoto (Übersetzer)

Inhaltsverzeichnis von „Der thematische Prozess in der Musik“

  • Dank
  • Einleitung: Das thematische Konzept – Ein grundlegendes Element zum Verständnis der Tonkunst
  • Teil I: Thematische Homogenität und thematische Transformation
    • Kapitel 1: Die thematische Struktur der Neunten Symphonie
    • Kapitel 2: Schumanns „Kinderszenen“: Thema und Variationen
    • Kapitel 3: Geschichtliche Ursprünge: Imitation, Variation, Transformation
    • Kapitel 4: Arten der Transformation
  • Teil II: Der thematische Prozess und das Problem der Form in der Musik
    • Kapitel 5: Die zwei formbildenden Kräfte in der Musik
    • Kapitel 6: Thematische Entwicklung und thematische Lösung
    • Kapitel 7: Besondere Arten struktureller Stimmigkeit
    • Kapitel 8: Thematische Tonartenbeziehungen
  • Teil III: Bewertung und Ausblick
    • Kapitel 9: Erfolgt die thematische Arbeit bewusst oder unbewusst?
    • Kapitel 10: Quellen und Entwicklung des thematischen Prinzips
    • Kapitel 11: Höhepunkt und Zerfall des thematischen Prinzips
    • Kapitel 12: Einige abschließende Betrachtungen über Wesen und Umfang des thematischen Prozesses
  • Nachwort des Übersetzers
  • Personen- und Werkverzeichnis

Über den Autor

Rudolph Réti

Réti (1885-1957) wurde in Serbien geboren und zog später nach Wien. Er studierte Klavier und Musiktheorie an der Musikakademie sowie Musikwissenschaft an der Universität Wien, wo er promovierte, und war als Musikkritiker, Pianist und Komponist tätig. 1939 emigrierte er in die Vereinigten Staaten und widmete sich der musikwissenschaftlichen Forschung, weshalb er heute eher als Musikwissenschaftler bekannt ist. (Zitat aus der japanischen Ausgabe des Buches)

Verwandte Artikel

Thematische Struktur als kompositorisches Element: Gedanken zur Lektüre von „Die Melodielehre der Meisterwerke“
(Erstveröffentlichung am 8. April 2002)Ein Merkmal „großer Werke“, wie etwa klassischer Symphoni...
Buchrezensionen
Profil      

Komponist Masaharu. Erschafft experimentelle Crossover-Musik, die auf Jazz und klassischer Musik basiert. Mit seiner Erfahrung in der Komposition von Bühnen- und Videospielmusik strebt er danach, Musik mit einer starken Erzählung zu schaffen.
Bandcamp

Follow Masaharu