Thematische Struktur als kompositorisches Element: Gedanken zur Lektüre von „Die Melodielehre der Meisterwerke“

Buchrezensionen

(Erstveröffentlichung am 8. April 2002)

名曲の旋律学―クラシック音楽の主題と組立て
音楽之友社
ルードルフ レティ (著), 水野 信男 (翻訳), 岸本 宏子 (翻訳)

Ein Merkmal „großer Werke“, wie etwa klassischer Symphonien, ist – so könnte man sagen – ihre Fähigkeit, trotz ihres Umfangs als ein einheitliches Musikstück wahrgenommen zu werden. Wer selbst komponiert, wird verstehen, wie schwierig das ist.

Etwas salopp formuliert: Ein einfach nur großes Stück, also ein Stück, das lediglich eine lange Spieldauer hat, lässt sich relativ leicht komponieren (obwohl es natürlich auch Mühe kostet). Das erreicht man, indem man bruchstückhafte Melodien ohne inneren Zusammenhang aneinanderreiht. Aber wie wird ein solches Stück vom Hörer aufgenommen?

Selbst wenn jede einzelne Melodie reizvoll wäre, würde sich ihr Reiz durch den Kontext der vorangehenden und folgenden Melodien verändern. Wären zudem alle Melodien gleich reizvoll, glichen sie sich wie ein Ei dem anderen, und letztlich bliebe keine im Gedächtnis haften. Das Werk wäre zwar lang und groß, aber eben nur langweilig.

Daher versuchen Komponisten, ihren Werken eine Struktur zu geben, etwa im Sinne eines dramaturgischen Aufbaus (Exposition, Durchführung, Reprise, Koda) – die Einführung von „Dramaturgie“. Sie legen eine Wertehierarchie für die Melodien fest, bestimmen Haupt- und Nebenrollen. Manchmal gibt es eine Ruhe vor dem Sturm oder eine auf Katharsis abzielende Intensität oder Stille.

Neben diesen gibt es verschiedene Techniken, um große Werke zu gestalten. Die abendländische Musik kennt die „thematische Arbeit“ (oder thematische Manipulation), die wesentlich zur Einheit eines Werkes beiträgt.

Das vorliegende Buch, „Die Melodielehre der Meisterwerke“ (Originaltitel: 『名曲の旋律学』), widmet sich dieser „thematischen Arbeit“ und verfolgt dabei einen eigenen Ansatz. Anhand berühmter klassischer Werke versucht es, die darin stattfindende thematische Arbeit zu entschlüsseln und zu untersuchen, wie Komponisten aus einem Motiv das gesamte Stück entwickeln und so Einheitlichkeit erzeugen.

Auf den ersten Blick mag es scheinen, als ginge es nur darum, Themen und Motive in einem Stück aufzuspüren. Das berühmte „Ta-ta-ta-taa“-Motiv in Beethovens „Schicksalssymphonie“ (5. Symphonie) in der Partitur zu finden, ist an sich nicht schwer. Man könnte sich fragen, welche Bedeutung es hat zu sagen: „Hier ist es, da ist es, und dort auch. Deshalb gibt es Einheit.“ Aus Sicht des Schaffenden mag es befremdlich wirken, wenn behauptet wird, Komponieren bestünde darin, Motive im Stück zu verteilen oder mechanisch zusammenzusetzen.

Der Autor betreibt jedoch keine solche „Teilesuche“ und behauptet auch nicht, Komponieren sei das mechanische Zusammensetzen von Motiv-Teilen. Bevor wir uns dem Kern der Aussage des Autors nähern, wollen wir kurz die „harmonische Struktur“, eine der musikalischen Strukturen, betrachten.

Wenn man eine harmonische Struktur, also eine konkrete harmonische Progression – im Popbereich eine Akkordfolge – erstellt, kommt es recht häufig vor, dass unbewusst eigene Vorlieben und Gewohnheiten einfließen und so eine zufriedenstellende Progression entsteht. Umgekehrt ist es ebenso üblich, durch erweiterte Auslegung von Theorie oder durch bewusste Kalkulation ungewöhnliche Progressionen zu schaffen.

Das bedeutet, man operiert tagtäglich bewusst oder unbewusst mit harmonischen Strukturen. Der Autor vergleicht dies mit dem Sprachgebrauch: Beim Sprechen achten wir auf den Inhalt, aber die Handhabung von Sätzen und Wendungen geschieht meist unbewusst. Wenn man mit dem Erstellen harmonischer Strukturen vertraut ist, achtet man zwar auf deren musikalischen Ausdruck, aber die Handhabung selbst (effektives Voicing, Grundlagen der Akkordlehre, Verbindungstechniken, Alterationen usw.) rückt in den Hintergrund. Und umgekehrt kann man durch bewusste Steuerung auch ungewohnte Wege in der Handhabung harmonischer Strukturen beschreiten.

Wenn Menschen mit solchen harmonischen Strukturen in Berührung kommen, stellen sie wohl kaum in Frage, ob diese bewusst oder unbewusst geschaffen wurden. Man versteht, dass „es mal bewusst, mal unbewusst geschehen sein mag.“ Und hier sagt der Autor, dass es sich mit der „thematischen Struktur“ genauso verhält. Nur sei sie bisher verborgen geblieben und nicht erklärt worden.

Es geht darum, dass Komponisten, indem sie den Umgang mit einem Motiv bewusst oder unbewusst steuern – während sie sich auf das gesamte Stück (den „Inhalt der Geschichte“) konzentrieren –, thematische Operationen durchführen und so eine „thematische Struktur“ aufbauen. Was aber streben Komponisten mit dieser thematischen Struktur an?

Der Komponist komponiert nicht, um die Identität eines Themas zu beweisen. Ob die innere Identität „beweisbar“ ist oder nicht, ist für ihn belanglos. Wichtig ist die Tatsache, dass er das gesamte Stück auf einer gemeinsamen thematischen Grundlage aufgebaut hat. Denn dies verspricht, dass der Hörer durch „unbewusste Erinnerung“ scheinbar unterschiedliche Ausdrücke als ein zusammenhängendes Ganzes akzeptieren wird. Dies, und nichts anderes, ist das letzte Ziel der thematischen Technik. (S. 225)

Das heißt, ebenso wie man von den reichen Klängen der Harmonik in einem Stück gefesselt sein kann, wird man, wenn man Einheit in der Musik empfindet, genau in diesem Moment von dieser Einheit gefesselt. Und das ist das Ziel der thematischen Struktur. Während des Komponierens zu erspüren, ob Einheit entsteht, und dabei bewusst oder unbewusst die Techniken der thematischen Arbeit einzusetzen, wird zu einem entscheidenden Faktor des Komponierens.

Daher besteht kein Widerspruch, wenn dieses Buch angesichts einer wunderbar inspirierten Melodie aufzeigt, dass sie aus Sicht der thematischen Struktur kalkuliert erscheint. Wenn man dies beim Lesen des Buches im Hinterkopf behält, wird sich das Verständnis vertiefen. Und vielleicht ermöglicht es dieses Buch, die „thematische Struktur“ als eigenes kompositorisches Element zu integrieren.

So betrachtet, mag es sein, dass einige Komponisten dieses Element bereits unbewusst verinnerlicht haben – es war ihnen „nur nicht bewusst“. Und wer es noch nicht hat, kann es sich durchaus aneignen, „so wie man Harmonielehre lernt“. Und so wie man das „Gefühl“ für harmonische Strukturen durch Erfahrung vertieft, ist es wichtig und vor allem „interessant“, auch das „Gefühl“ für thematische Strukturen durch Erfahrung zu vertiefen.

名曲の旋律学―クラシック音楽の主題と組立て
音楽之友社
¥3,704(2025/05/18 17:28Zeitpunkt)
ルードルフ レティ (著), 水野 信男 (翻訳), 岸本 宏子 (翻訳)
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Profil      

Komponist Masaharu. Erschafft experimentelle Crossover-Musik, die auf Jazz und klassischer Musik basiert. Mit seiner Erfahrung in der Komposition von Bühnen- und Videospielmusik strebt er danach, Musik mit einer starken Erzählung zu schaffen.
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